18.1.05

(Medien) Ein Lob dem langen Artikel

Es mag nicht allzu viele ZeitgenossInnen geben, die den langen – nicht langfädigen – Artikel dem 20-Sekunden-Diktat der neuen Presse vorziehen. Kurz soll es ja sein in der Regel, auf einen Nenner gebracht, verdichtet zur griffigen Schlagzeile. Selbst sogenannte Qualitätszeitungen und –zeitschriften haben sich zunehmend dem Diktat der Kürze unterzogen. Die allermeisten Zeitungsrenovationen hierzulande standen in den letzten Jahren unter diesem Vorzeichen.

Löbliche Ausnahme ist sicher die Neue Zürcher Zeitung, die eben das bemerkenswerte 225-Jahr-Jubiläum feiert. Ihre Konzession an den Zeitgeist besteht vor allem in der Einführung von mehr Struktur in den einzelnen Berichten und natürlich im vielbeachteten und teils geschmähten Vierfarbendruck – den einzudenken die «Alte Tante» allerdings dosiert vorzunehmen gedenkt. Bei der Artikellänge aber scheint jedem Schreibenden nach wie vor die freie Wahl gewährt zu sein, ob es nicht auch mehr als deren 10'000 Anschläge respektive 250 Zeitungszeilen sein sollen. Die andere grosse Ausnahme im Längenmass ist der deutsche «Spiegel». Erfrischend bekennt sich dessen Chefredaktor Stefan Aust im Tages-Anzeiger-Interview vom Montag, 17.1., zur umfassenden Länge der Berichterstattung, ja erhebt sie gar zum Schlüssel des Auflageerfolgs der letzten Jahre, der sich effektiv trotz der Konkurrenz des Kurzfuttermagazins Fokus eingestellt hat.

Ironie des Tagi-Interviews: Auch diese Zeitung hat in den letzten Jahren ihr Heil vornehmlich in der Verkürzung gesucht, vornehm kaschiert durch Stichworte wie Leserfreundlichkeit, Übersichtlichkeit und Blattführung. Dem hält Aust etwa entgegen «Ich denke nie über das Leserinteresse nach». Immerhin, das Interview im Tagi erstreckt sich ausnahmsweise einmal über mehr als eine Seite und erfasst damit eine ganze Palette von Themen zur Wirkung des Spiegels. Und im gleichen Blatt erscheint auch noch eine bemerkenswerte und durchaus lange, ganzseitige sowie sehr subjektive Geschichte des China-Korrespondenten, der seine spezielle Beziehung zum Katastrophengebiet in Thailand beschreibt. Auch das absolut lesenswert, trotz der unüblichen Länge.

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