2.4.09

(Finanzen) „Nur die Banken zu retten reicht nicht“

Für sein System der Mikrokredite für Arme erhielt Mohammed Yunus vor drei Jahren den Friedensnobelpreis. Im Handelsblatt-Interview bekennt er sich zur Globalisierung, kritisiert die Zielrichtung des Weltfinanzgipfels und verrät, ob er auch in Deutschland eine Zukunft für Mikrokredite sieht.
Mohammed Yunus: "Die Krise ist eine einmalige Gelegenheit, Dinge zu verändern.

Handelsblatt: Herr Yunus, lebt es sich anders als Nobelpreisträger?

Yunus: Eindeutig (lacht). Eigentlich erzähle ich ja mit meiner Idee der Mikrokredite seit 30 Jahren immer dasselbe. Aber früher sagten die Leute, ich sei verrückt. Seit ich den Nobelpreis erhalten habe, gelten meine Äußerungen plötzlich als weise.

Ihre Grameen-Bank expandiert. Aber die Mikrofinanzwelt scheint nach einer Boomphase jetzt Probleme zu haben.

Einige neue Akteure, die Mikrokredite vergeben, haben Probleme. Wer etwa Geld in harten Währungen geliehen hat, um Mikrokredite in schwachen Währungen zu vergeben, steckt bei der Rückzahlung in Schwierigkeiten. Auch Investmentfonds sind in dem Sektor gescheitert - zu Recht übrigens.

Wieso?

Ich hatte private Investoren gewarnt, dass das Instrument der Mikrokredite kein Mittel ist, mit hohen Margen Geld nun auch noch aus den Armen zu pressen. Eigentlich sollte es in Entwicklungsländern wie Bangladesch ein Mittel gegen Kredithaie sein - um denen zu helfen, die von normalen Banken als nicht kreditwürdig eingestuft werden. Jetzt schwimmen unter dem Namen leider selbst Kredithaie umher, die Zinssätze von 100 Prozent und mehr fordern.

Welchen Zinssatz nimmt Ihre Grameen-Bank für Existenzgründer?

Normalerweise 20 Prozent, acht Prozent für Immobilien, fünf für Studentenkredite und null Prozent bei Bettlern - denn auch diesen geben wir Kredit.

Seit die staatliche Entwicklungshilfe die Mikrokredite entdeckt hat, gibt es aber auch die Kritik, dass zu niedrige Sätze lokale Banken kaputtmachen.

Das stimmt, das kritisiere ich auch. Wenn ausländische Organisationen staatlich subventionierte Kredite vergeben, können kleine kommerzielle Banken in den Entwicklungsländern nicht mithalten. Statt den Armen zu helfen, schaden künstlich verbilligte Kredite, weil sie einige Wege zum Kapital versperren. Das ist schlecht. Denn gerade in der weltweiten Finanzkrise und den wirtschaftlichen Turbulenzen werden die Mikrokredite noch wichtiger, weil sie helfen, ein eigenes Geschäft aufzubauen.

Also trifft die Finanzkrise Ihren Sektor?

Eigentlich erstaunlich wenig. Der Grund liegt darin, dass wir weitgehend abgekoppelt von den internationalen Märkten operieren. Die Mikrokredite in Bangladesch, die 25 Prozent aller weltweiten Kleinstkredite ausmachen, werden aus lokalen Rücklagen in Landeswährung verliehen. In Indien ist dies ähnlich. Oder nehmen Sie unser Projekt in New York City, wo wir mehr als 500 Frauen Kredite von durchschnittlich 1 200 Dollar gegeben haben, damit sie sich ein Geschäft aufbauen können. Dort haben wir eine Rückzahlungsrate von 99,6 Prozent - und das in einer Stadt, in der die großen Banken zusammenbrechen. Das ist die Botschaft der Krise: Die Banken stolpern über ihr eigenes Geschäft - aber diejenigen, die sie vorher als nicht kreditwürdig eingestuft haben, zahlen ihre Verbindlichkeiten.

Der Weltfinanzgipfel wird sich eher mit der Verschuldung beschäftigen. Ist das eine falsche Schwerpunktsetzung?

Das Thema Ausgrenzung sollte mit auf der Agenda stehen. Aber sicher gibt es das Problem der übermäßigen Verschuldung, weil Kredite zu leicht vergeben wurden. Das muss man abstellen. Wir müssen den Gier-Anteil im System reduzieren, der die Wirtschaft in ein Spielcasino verwandelt hat.

Leicht gesagt, aber wie macht man dies?

Der Staat muss eingreifen, wenn der Markt nicht mehr funktioniert. Die Marktteilnehmer, die sich übernommen haben, müssen die Verantwortung dafür tragen. Ein guter Schritt wäre die Vorschrift, dass künftig alle selbst Anteile an den Produkten übernehmen müssen, die sie vertreiben.

Was sollten die Industrieländer tun?

Mit das Wichtigste wäre der Abschluss der Doha-Welthandelsrunde.

Ist das kein Widerspruch? Erst argumentieren Sie, der Mikrokreditsektor profitiere von der Abschottung der internationalen Finanzmärkte. Nun plädieren Sie für die Integration des Welthandels.

Nein, das ist kein Widerspruch. Es ist doch längst bewiesen, dass die Globalisierung armen Ländern hilft. Sonst wäre Bangladesch heute nicht anders als vor 50 Jahren. Sonst hätte es die Entwicklung in China nicht gegeben. Ich bin überhaupt nicht gegen die Globalisierung, nur muss jeder ihre Vorteile genießen können. Der Abschluss der Doha-Runde würde verhindern, dass sich einige 99 Prozent der Vorteile sichern. Es muss Kompromisse geben.

Quelle: Ausschnitte aus einem Interview des «Handelsblatt» vom 22.3.09

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